Betriebsbedingte Kündigungsgrund nach französischem Recht: Strenge Beurteilung der Voraussetzungen des „Umsatzrückgangs“
Mit Urteil vom 01.06.2022 (Akz.: 20-19.957) präzisiert der französische Kassationsgerichtshof (Cour de Cassation), wie wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei einer betriebsbedingten Kündigung zu bewerten sind.
Im vorliegenden Fall wurde eine Arbeitnehmerin einem Vorgespräch im Hinblick auf den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung geladen. Das Arbeitsverhältnis endete nach Ablauf der 21-Tage-Überlegingsfrist zur Annahme des Vertrages zur beruflichen Absicherung (Contrat de Sécurisation Professionnelle / CSP). Die Arbeitnehmerin erhob Klage vor dem Arbeitsgericht. Die Klage wurde in der Berufung abgewiesen. Die Richter waren der Ansicht, dass „die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die die Umstrukturierungsmaßnahmen rechtfertigen sollen, nach der Anzahl der Beschäftigten und zum Zeitpunkt der Einleitung des Kündigungsverfahrens zu beurteilen sind“. Zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 2017, war nur das erste Quartal verstrichen. Das Berufungsgericht bezog sich daher auf das Geschäftsjahr 2016. Bei einem Umsatzrückgang von fast 23 Milliarden Euro im Vergleich zu 2015 war der „bescheidene Anstieg“ des Umsatzes um 0,5 % im ersten Quartal 2017 nach dem Berufungsgericht „nicht ausreichend, um eine greifbare Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zu kennzeichnen“.
Die Arbeitnehmerin legte Revision ein. Sie ist der Auffassung, das Berufungsgericht habe gegen Artikel L. 1233-3 des französischen Arbeitsgesetzbuches (Code du travail) verstoßen. Demnach liegt bei einem Unternehmen mit mindestens 300 Beschäftigten ein „signifikanter Rückgang“ nur dann vor, wenn ein Umsatzrückgang im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres, d.h. zu mindestens vier aufeinanderfolgenden Quartalen gegeben ist. Die Arbeitnehmerin vertritt die Auffassung, diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt, da ein Umsatzrückgang bei einem Vergleich der zwei Zeiträume nicht gegeben sei.
Die Revision hatte Erfolg.
Das oberste Gericht weist zunächst darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung für die Beurteilung des Vorliegends des Kündigungsgrundes auf den Zeitpunkt der Ausspruch der Kündigung abzustellen sei.
Das Berufungsgericht hat zu Unrecht festgestellt, es läge wirtschaftliche Schwierigkeiten vor. Ein Vergleich der letzten vier Quartal mit demselben Zeitraum im Vorjahr ergibt nämlich keinen Umsatzrückgang.
Hiermit legt der französische Kassationshof Artikel L. 1233-3 des französischen Arbeitsgesetzbuchs streng aus: Wirtschaftlichen Schwierigkeiten liegen schon nicht vor, wenn der Umsatz im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres nur geringfügig steigt, sogar um
0,5 %. Der Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung aus diesem Grund ist schon daher ungerechtfertigt
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