Aufhebung der Ausgangssperre in Frankreich und betriebliches Maßnahmenkonzept gegen Covid-19-Ansteckungen

Informationsblatt vom 05.05.2020

 

Vor dem Hintergrund, dass

  • zahlreiche Rechtsnormen (Gesetze, Verordnungen, Erlasse und Internet-Kommunikationen…), in Frankreich während der Ausgangssperre erlassen worden sind,
  • zahlreiche Kontrollen auf Anordnung der französischen Arbeitsaufsichtsbehörde von der Arbeitsinspektion in den Unternehmen durchgeführt worden sind, welche dazu geführt haben, dass Arbeitgeber förmlich unter Androhung von Strafverfolgungsmaßnahmen dazu aufgefordert worden sind, erforderliche Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz festzulegen,
  • Eilverfahren vor den zuständigen Gerichten eingeleitet und Verurteilungen ausgesprochen worden sind mit dem Zweck die Arbeitgeber dazu zu zwingen die gesetzlichen Vorgaben unter Androhung von Zwangsgeldern und der Betriebsschließung einzuhalten,
  • Kontrollen in Lebensmitteleinzelhandelsgeschäften, öffentlich zugänglichen Einrichtungen oder auf Baustellen, unter Hinzuziehung der Ordnungsbehörden (Polizei), angekündigt worden sind,

müssen Unternehmen bei der allmählichen Rückkehr zu einem „normalen“ Leben sehr vorsichtig sein und dabei die notwendigen Maßnahmen zum Schutze der Beschäftigten ergreifen.

  • Zunächst einmal müssen zwingend alle geeigneten Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Beschäftigten ergriffen werden. Dies gilt im Interesse, der Beschäftigten, aber auch im Interesse des Unternehmens und der Geschäftsleitung, die anderenfalls haftbar gemacht werden können.

So hatte zum Beispiel ein Verein für Heimpflegedienste eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die offenbar recht umfassend waren:

  • Bereitstellung eines Telefons für die Mitarbeiter, damit sie die Einsatzpläne erhalten und anrufen oder angerufen werden können;
  • Zurverfügungstellung von Desinfektionsmittelgel in wiederauffüllbaren Flaschen;
  • Zurverfügungstellung von Handschuhen;
  • Zurverfügungstellung von FFP2-Schutzmasken soweit noch vorrätig, wenn der Arbeitnehmer bei einer Person tätig wird, bei welcher der Verdacht besteht, dass sie krank ist;
  • Im Falle einer nachgewiesenen Ansteckung des Kunden wird die Dienstleistung nicht erbracht.

Nichtdestotrotz hat das Landgericht von Lille (einstweilige Verfügung Nr. 20/00380 vom 03.042020) den Verein aufgefordert, 13 zusätzliche Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Diese Schutzmaßnahmen könnten für andere Fälle als Anregung herangezogen werden:

  • Den Mitarbeitern ist eine adäquate persönliche Schutzausrüstung (PSA) in ausreichender Menge zur Verfügung zu stellen, und falls es unmöglich sein sollte, soll der Pflegedienst anders organisiert werden, um das zwingende oder sogar lebenswichtige Bedürfnis des Kunden mit dem Schutz der Arbeitnehmer in Einklang zu bringen;
  • Die mit den verschiedenen Dienstleistungen verbundenen Risiken sind in drei Konstellationen festzustellen: Der Kunde ist möglicherweise infiziert, weiß es jedoch nicht, der Kunde hat Symptome oder der Kunde wurde positiv diagnostiziert;
  • Die Kunden sind über die Änderung bei der Ausführung der Dienstleistungen und die von den Mitarbeitern zwingend einzuhaltenden Anweisungen zu informieren. Die Kunden sind darüber zu belehren, dass sie – soweit sie Symptome aufweisen oder positiv diagnostiziert wurden – auch eine Schutzmaske in Anwesenheit der Mitarbeiter tragen müssen;
  • Besondere Vorkehrungen sind zu treffen, um die Arbeitnehmer an ihre Verpflichtung zu erinnern, jeden Unfall oder Zwischenfall mit einem biologischen Arbeitsstoff unverzüglich zu melden;
  • Die für den Fall eines biologischen Risikos erforderlichen Informationen sind den Arbeitnehmern, dem Betriebsrat und der Arbeitsinspektion zur Verfügung zu stellen;
  • Eine Liste der Arbeitnehmer, die biologischen Arbeitsstoffen ausgesetzt sind, ist zu erstellen;
  • Eine spezielle medizinische Akte ist von dem zuständigen Amtsarzt oder der medizinischen Fachkraft zu führen.

Der o.g. Verein wurde auch dazu verurteilt, eine Reihe präziser Anweisungen zu organisieren, diese zu verbreiten und deren Einhaltung zu kontrollieren. Es handelt sich um folgende Anweisungen:

  • Maßnahmen zur vorsorglichen Überprüfung, ob der Kunde Symptome von Covid-19 hat oder am Covid-19 erkrankt ist;
  • Anweisungen bezüglich der Interventionsbedingungen der Arbeitnehmer;
  • Anweisungen zum Tragen und Gebrauch von persönlichen Schutzausrüstungen und zu den bei einem Unfall zu ergreifenden Maßnahmen;
  • Anweisungen bezüglich der Zurverfügungstellung von persönlichen Schutzausrüstungen an die Arbeitnehmer bei den jeweiligen Geschäftsstellen;
  • Verfahren zur Abfallbehandlung;
  • Anweisungen für die Arbeitnehmer, um sicherzustellen, dass der Kunde im Falle von Symptomen oder Krankheit eine Maske trägt.

Grundlage für diese Maßnahmen sind zwei Säulen: das sog. „Risikobewertungsdokument“ und die interne Betriebsordnung.

 

Das Risikobewertungsdokument

Das Risikobewertungsdokument ist jährlich zu aktualisieren. Beim derzeitigen Stand der Gesundheitsrisiken ist dies umso gerechtfertigter.

Die Generaldirektion für Arbeit hat folgende Klarstellungen vorgenommen:

  • „Die Gefährdungsbeurteilung im Unternehmen muss aufgrund der Epidemie erneut vorgenommen werden, um das Risiko einer Ansteckung am Arbeitsplatz oder bei der Arbeit zu minimieren“.
  • „Diese neue Bewertung muss in dem Risikobewertungsdokument aufgenommen und das Risikobewertungsdokument aktualisiert werden, um den neuen Umständen Rechnung zu tragen“.
  • Schließlich wird hinzugefügt, dass die Aktualisierung des Risikobewertungsdokuments „nach einem Verfahren erfolgt, an dem die Arbeitnehmervertretungen und der arbeitsmedizinische Dienst beteiligt sind“.

Jedes Unternehmen (das Risikobewertungsdokument ist ab einem Mitarbeiter obligatorisch) muss daher eine neue Risikobeurteilung durchführen.

Der erste Schritt besteht darin, die Arbeitssituationen zu ermitteln, in denen eine Übertragung von Covid-19 auftreten kann, wobei für jede Situation das Ausmaß des Risikos anzugeben ist.

In einem zweiten Schritt muss der Arbeitgeber im Hinblick auf Arbeitsplätze, Aufteilung der Arbeitszeit und Besetzung der Räumlichkeiten, Schutzmaßnahmen zur Verhinderung des Übertragungsrisikos und zur Reduktion von Personenkontakt treffen:

  • Aufteilung der Arbeitsplätze (ein oder zwei Personen pro Büro), Regeln bei offenen Arbeitsplätzen (Open Space Büro), weiterhin Tätigkeit im Home-Office, Einführung von Schutzbarriere);
  • Regeln für Gemeinschaftsbereiche wie Eingangshallen, Warteräume, Rezeption, Aufzüge, Treppenhäuser, Sicherstellung der Einhaltung der Verkehrsrichtung, Einbau von Plexiglasschutz für Empfangsposten, Erstellung eines Protokolls für externe Personen (Identifizierung, Händewaschen mit hydroalkoholischem Gel), begrenzte Anzahl an Teilnehmer pro Meeting, Anbringung von Markierungen zur Einhaltung von Abständen;
  • Regeln für die Nutzung der Gemeinschaftsräume (Pausenraum, Restaurant, sanitäre Einrichtungen, Umkleideräume) durch systematische Reinigung oder sogar Verriegelung von Wasserfontänen, Getränkeautomaten, Mikrowellen, Kühlschränken und durch Bevorzugung einzelner Wasserflaschen, Mittagessen mit Mahlzeiten, die von jedem Arbeitnehmer täglich mitgebracht werden, sowie die Verwendung von persönlichem oder Einweggeschirr;
  • Bereitstellung von hydroalkoholischem Gel und Masken, insbesondere wenn die Arbeitnehmer sich ein Büro oder einen gemeinsamen Arbeitsplatz teilen, regelmäßige Reinigung und Desinfektion der Räumlichkeiten und insbesondere der jeweiligen Arbeitsplätze;
  • Zeitmanagement: Anpassung der Arbeitszeiten, Bildung von wechselnden oder aufeinander folgenden Teams;
  • Durchführung von Informations- und Schulungsmaßnahmen für das Personal in Bezug auf die Kontaminationsrisiken: Erinnerung an die Schutzmaßnahmen (Abstand, Hände waschen), Schulung bzgl. der Verwendung von Schutzausrüstung, Aushang über diese Informationen unter Bezugnahme auf die vom Arbeitsministerium erstellten Arbeitsplatzbeschreibungen, sofern sie für den betreffenden Beruf existieren.

Im Haftungsfall stellt das Risikobewertungsdokument ein wesentliches Element der Verteidigung dar.

Um die Information sicherzustellen, ist es sinnvoll jedem Arbeitnehmer eine schriftliche Zusammenfassung der im Unternehmen durchgeführten Organisations- und Schutzmaß-nahmen sowie der Präventionsanweisungen und gegebenenfalls die Nummern der vom arbeitsmedizinischen Dienst eingerichteten Hotlines auszuhändigen.

Vorsicht: das Pariser Landgericht (einstweilige Verfügung Nr. 20/52223 vom 09.04.2020), hat hervorgehoben, dass:

  • Arbeitgeber öffentliche und offizielle Empfehlungen der Regierung oder der zuständigen Gesundheitsbehörden nicht einfach umschreiben können;
  • eine detaillierte Bewertung der einzelnen mit dem ausgeübten Beruf verbundenen Risiken nicht ausreicht. Es ist unbedingt erforderlich, dass das Ergebnis in dem Risikobewertungsdokument aufgenommen wird.

 

Die interne Betriebsordnung

Eine interne Betriebsordnung ist in Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten zwingend, es ist jedoch ratsam, schon ab dem ersten Arbeitnehmer eine solche Betriebsordnung zu erstellen, schon allein um solche Disziplinarmaßnahmen aufzulisten und anwenden zu können, die im Arbeitsgesetz nicht genannt sind.

Nach dem Gesetz sind in der internen Betriebsordnung Maßnahmen zur Durchsetzung von Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften im Unternehmen oder im Betrieb aufzunehmen, einschließlich Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung von Covid-19. Dies war im Übrigen auch die Position, die während der H1N1-Grippeepidemie von der Arbeitsinspektion eingenommen wurde (DGT-Rundschreiben Nr. 2009/16 vom 03.07.2009, in Ergänzung zum DGT-Rundschreiben Nr. 2007/18 vom 18.12.2007 über die Kontinuität der Geschäftstätigkeit und die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Beschäftigten des privaten Rechts im Falle einer Grippepandemie).

Die interne Betriebsordnung kann daher ergänzt werden, um im Einklang mit dem Risikobewertungsdokument die Gesundheits- und Sicherheitsverpflichtungen aufzulisten, die jeder Mitarbeiter einzuhalten hat (Barrieregeste, Abstandsregelungen, Händewaschen, Begrenzung der Anzahl von Meetings und der Teilnehmerzahl und sogar die Einführung einer systematischen Temperaturmessung für die Arbeitnehmer am Eingang des Unternehmens).

  • Eine weitere Schutzmaßnahme: die Fortbildung

Um sich auf die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit vorzubereiten, ist es möglich, in der Kurzarbeit, auch nach der Ausgangssperre, staatlich finanzierte Fortbildungen in Anspruch zu nehmen. Die Dauer der Fortbildung darf die Dauer der Kurzarbeit nicht überschreiten.

 

Welche Fortbildungskurse?

Es handelt sich um alle Berufsbildungsmaßnahmen (Fern- oder Präsenzveranstaltungen) zur Entwicklung von Fähigkeiten und zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit: Fortbildungsmaßnahmen, Nachweise über die bisherige Berufserfahrung, Feststellung der Kompetenzen, Maßnahmen zur Feststellung der erworbenen Berufserfahrung, usw…

Die betroffenen Kategorien von Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung sind folgende:

– Fortbildungsmaßnahmen,

– Bewertung der beruflichen Kompetenzen,

– Feststellung der erworbenen Berufserfahrung.

Ausgeschlossen sind jedoch:

– Berufsbegleitende Ausbildung (Lehre, Professionalisierung);

– gesetzlich vorgesehene Fortbildungen.

Die Kriterien sind daher sehr weit gefasst.

Kostenregelung

Bei der Bemessungsgrundlage für erstattungsfähige Kosten werden 100% der im Rundschreiben Nr. 2011-12 vom 01.04.2011 genannten erstattungsfähigen Kosten berücksichtigt. Es gibt KEINE definierte Obergrenze.

Ist das Vorhaben mit Lehrkosten von weniger als 1.500 € pro Arbeitnehmer verbunden, kann die französische Arbeitsaufsichtsbehörde ihre Zustimmung erteilen, sofern die Fortbildung die Förderkriterien erfüllt (Arbeitnehmer in Kurzarbeit, keine von Gesetzes wegen vorgesehener Fortbildung und keine duale Fortbildung).

Bedingungen

Um in den Genuss der Regelung zu kommen, muss der Arbeitgeber folgende Schritte durchführen:

1. Vorbereitung eines Fortbildungsplans;

2. Erstellung einer Liste mit den Namen der Mitarbeiter, die in Kurzarbeit versetzt werden und an Fortbildungskursen teilnehmen werden;

3. Einholung der schriftlichen Zustimmung der Arbeitnehmer zur Teilnahme an den Fortbildungskursen in der nicht gearbeiteten Zeit;

4. Bestimmung des Gesamtvolumens der Fortbildungsstunden entsprechend dem Fortbildungsplan;

5. Übersendung des Zuschussantrages an die französische Arbeitsaufsichtsbehörde mit folgenden Angaben: Anzahl der teilnehmenden Arbeitnehmer, Anzahl der Fortbildungsstunden, Kostenvoranschlag (Bruttobetrag) der berufsbildenden Einrichtung, Beschreibung der geplanten Fortbildungsmaßnahmen (Kontext, Zeitplan, Zweck der Fortbildung, Ziele der Kompetenzerweiterung, geplante Aktionen).

Eine Finanzierung kann über zwei Wege beantragt werden:

– Unterzeichnung einer Vereinbarung mit der französischen Arbeitsaufsichtsbehörde. Die Vertragsschlussvoraussetzungen werden vereinfacht. Grds. müssen Sie sich nur an die örtlich zuständige Arbeitsaufsichtsbehörde wenden und Ihr Projekt vorschlagen.

– Sprechen Sie mit Ihrer zuständigen berufsbildenden Einrichtung (sog. „Opco“ / Opérateur de compétences): Kollektive Vereinbarungen sind normalerweise auf Branchenebene zu unterzeichnen.

Konkret ist es wahrscheinlich am sichersten, an beide Türen zu klopfen, an die der Arbeitsaufsichtsbehörde und an die der Opco.

ACHTUNG: Der Erhalt der Finanzierung steht unter einer Voraussetzung: Der Arbeitgeber verpflichtet sich, den Arbeitnehmer während der Dauer der Fortbildung nicht zu kündigen.