Anwendung der Macron-Tabelle und Regularisierung von Pflichtverletzungen des Arbeitgebers: Präzisierungen des Kassationsgerichtshofs zur gerichtlichen Auflösung des Arbeitsvertrags

Nach ständiger Rechtsprechung hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, vor dem Arbeitsgericht die gerichtliche Auflösung seines Arbeitsvertrags aufgrund von Pflichtverletzungen des Arbeitgebers zu beantragen. Damit die Auflösung durch das Arbeitsgericht ausgesprochen wird, muss der Arbeitnehmer Pflichtverletzungen des Arbeitgebers nachweisen, die so schwerwiegend sind, dass die Fortführung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Wenn die vom Arbeitsnehmer angegebenen Tatsachen nicht ausreichen, um eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsvertrags zu rechtfertigen, wird die Klage abgewiesen und der Arbeitsvertrag fortgeführt. Hält das Arbeitsgericht hingegen die Auflösung des Arbeitsvertrags für gerechtfertigt, hat der Ausspruch der Auflösung die Wirkung einer ungerechtfertigten Kündigung oder einer nichtigen Kündigung, je nach Art der dem Arbeitgeber vorgeworfenen Pflichtverletzung.

In zwei aktuellen Urteilen hat der französische Kassationsgerichtshof (Cour de cassation) die rechtliche Grundlage zur gerichtlichen Auflösung des Arbeitsvertrags präzisiert und sich einerseits zur Anwendung der sogenannten „Macron-Tabelle“ bei Auflösungsanträgen geäußert, die vor der Veröffentlichung der „Macron-Verordnungen“ eingereicht wurden, und andererseits zum Zeitraum, in dem der Arbeitgeber seine Pflichtverletzungen noch regulieren kann.

Im ersten Urteil hatte ein Arbeitnehmer am 26.04.2016 die gerichtliche Auflösung seines Arbeitsvertrags beantragt. Er berief sich dabei auf Änderungen seines Arbeitsvertrags, Mobbing und gewerkschaftliche Diskriminierung. Daraufhin war er am 14.02.2018 wegen Ungeeignetheit gekündigt worden. Mit Urteil vom 17.01.2020 hatte das Berufungsgericht (Cour d’appel) von Aix-en-Provence die gerichtliche Auflösung des Arbeitsvertrags mit Wirkung zum Tag der Kündigung ausgesprochen und dem Arbeitnehmer eine Entschädigung für ungerechtfertigte Kündigung in Höhe von 19 Monatsgehältern zugesprochen. Anschließend hatte der Arbeitgeber Beschwerde beim Kassationsgerichtshof eingelegt und argumentiert, dass die Kündigung nach der Veröffentlichung der sogenannten „Macron-Verordnungen“ vom 22.09.2017 wirksam geworden und daher die in Artikel L. 1235-3 des französischen Arbeitsgesetzbuchs (Code du travail) vorgesehene gesetzliche Tabelle anzuwenden sei. Der Kassationsgerichtshof folgt der gleichen Argumentation und hebt das Urteil des Berufungsgerichts mit der Begründung auf, dass die gerichtliche Auflösung nach dem 24.09.2017 (Tag der Veröffentlichung der Verordnungen) wirksam wurde. Somit sei die gesetzliche Entschädigungstabelle anzuwenden, und dies, obwohl der Antrag auf Auflösung des Arbeitsvertrags vor der Verordnungsveröffentlichung gestellt worden war (Cass. soc., 16. Feb. 2022, Nr. 20-16 184).

Im zweiten Urteil ging es um einen Arbeitnehmer, der die gerichtliche Auflösung seines Arbeitsvertrags wegen nicht bezahlter Überstunden beantragt hatte. Der Arbeitnehmer war einige Monate später wegen schweren Fehlverhaltens gekündigt worden. Das Berufungsgericht von Rennes hatte den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit der Begründung abgelehnt, dass der Arbeitgeber die Überstunden nach der Kündigung bezahlt hatte und ihm daher keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden konnte. Der Kassationsgerichtshof hebt das Berufungsurteil auf und entscheidet, dass die Bezahlung der Überstunden vor der Kündigung hätte erfolgen müssen. In der Tat verhinderten die Pflichtverletzungen des Arbeitgebers zum Zeitpunkt der Kündigung die Fortsetzung des Arbeitsvertrags (Cass. soc., 2. März 2022, Nr. 20-14 099).