Bezahlter Urlaub und Überstunden: Der Kassationsgerichtshof vollzieht eine grundlegende Wende

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27 Oktober 2025

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Am 10.09.2025 hat die Sozialkammer des Kassationsgerichtshofs eine mit Spannung erwartete Entscheidung zur Verknüpfung von bezahltem Urlaub und Überstundenvergütung getroffen. Dieses Urteil markiert einen bedeutsamen Wendepunkt in der französischen Rechtsprechung und beruht unmittelbar auf dem Einfluss des europäischen Rechts.

Bisherige Praxis: Ausschluss von Urlaubstagen aus der Überstundenberechnung

Nach bisheriger Rechtsprechung wurden bezahlte Urlaubstage bei der Berechnung von Überstunden nicht als tatsächliche Arbeitszeit berücksichtigt. In der Praxis bedeutete dies:
Nahm ein Arbeitnehmer in einem arbeitsintensiven Monat Urlaub, reduzierte sich die für Überstunden maßgebliche Arbeitszeit.

Beispiel: Ein Vollzeitbeschäftigter mit einer 35-Stunden-Woche arbeitet in einer Woche 38 Stunden und nimmt zusätzlich 7 Stunden bezahlten Urlaub.
Nach bisheriger Praxis wurden lediglich die 38 tatsächlich geleisteten Stunden berücksichtigt – also 35 Stunden zum Normaltarif und 3 Überstunden.
Die 7 Urlaubsstunden blieben unberücksichtigt.

Diese seit Langem gefestigte Rechtsprechung stand jedoch im Widerspruch zum Unionsrecht, das den Arbeitnehmerschutz und die Gleichbehandlung in den Mittelpunkt stellt.

 

Einfluss des europäischen Rechts

Das Unionsrecht verlangt eine arbeitnehmerfreundliche Auslegung des Rechts auf bezahlten Urlaub und des Grundsatzes der Gleichbehandlung.

Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lautet:

„Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub.“

Demnach verstößt jede Regelung gegen das Unionsrecht, die Arbeitnehmer indirekt davon abhält, ihren Urlaub zu nehmen – etwa, wenn sie dadurch finanzielle Nachteile erleiden.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) bestätigte diesen Grundsatz mit Urteil vom 13.01.2022 (Rechtssache C-514/20, auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichts):
Bezahlter Urlaub darf weder zu einer Minderung des Arbeitsentgelts noch zu einer Schlechterstellung bei arbeitsrechtlichen Ansprüchen, insbesondere hinsichtlich der Überstundenvergütung, führen.

 

Das Urteil des Kassationsgerichtshofs vom 10.09.2025

Unter Einfluss des Unionsrechts hat der Kassationsgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben:

„Bezahlte Urlaubstage sind bei der Berechnung von Überstunden zu berücksichtigen.“

Damit folgt das höchste französische Gericht der Rechtsprechung des EuGH und beendet eine jahrzehntelange abweichende Praxis.

Künftig gilt: Bezahlter Urlaub wird der Arbeitszeit gleichgestellt.

Beispiel: Ein Vollzeitbeschäftigter (35 Stunden pro Woche) arbeitet 38 Stunden und nimmt zusätzlich 7 Stunden bezahlten Urlaub.
Seine berücksichtigte Wochenarbeitszeit beträgt nun 45 Stunden (38 + 7).
Es sind 10 Überstunden zu vergüten – nicht mehr nur 3, wie bisher.

 

Praktische Folgen für Unternehmen

Diese Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf Personal-, Lohn- und Rechtsabteilungen:

  1. Anpassung der Arbeitszeitabrechnung:
    Bezahlte Urlaubstage müssen künftig in die Berechnung der Überstunden einbezogen werden. Lohnbuchhaltungssysteme und Zeiterfassungstabellen sind entsprechend zu aktualisieren.
  2. Mögliche Lohnnachzahlungen:
    Arbeitnehmer können Nachforderungen für nicht erfasste Überstunden geltend machen – auch rückwirkend für noch nicht verjährte Zeiträume.
  3. Erhöhtes Prozessrisiko:
    Bei Verstößen drohen gerichtliche Auseinandersetzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung, wenn Unternehmen weiterhin Urlaub von der Überstundenberechnung ausschließen.

 

Zusammenfassung

Vor dem 10. Sept. 2025 Seit dem 10. Sept. 2025
Bezahlter Urlaub wurde nicht in die Berechnung der Überstunden einbezogen Bezahlter Urlaub muss in die Berechnung einbezogen werden
Anwendung des innerstaatlichen französischen Rechts Anwendung des europäischen Rechts (EuGH)
Weniger bezahlte Überstunden Mehr Überstundenvergütung für Arbeitnehmer
Geringes rechtliches Risiko Hohes Prozessrisiko bei Nichtbeachtung

Mit dem Urteil vom 10.09.2025 bestätigt der französische Kassationshof eindeutig den Vorrang des europäischen Rechts und beendet eine Praxis, die Arbeitnehmer benachteiligte, wenn sie ihren bezahlten Urlaub während einem arbeitsintensiven Monat in Anspruch nahmen.

Dieser Rechtswandel steht für eine Entwicklung hin zu einem arbeitnehmerfreundlicheren Arbeitsrecht, das sicherstellt, dass Beschäftigte keinen finanziellen Nachteil erleiden, wenn sie ihr Recht auf Erholung wahrnehmen.

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