100.000 Euro Entschädigung und eine gerichtlich angeordnete Entschuldigung – ein Weckruf für alle Arbeitgeber!
Human Resources
16 Oktober 2025

Ein auf den ersten Blick unscheinbarer Fall aus der Gastronomie sorgt aktuell für Aufsehen in der arbeitsrechtlichen Praxis: Ein Jurastudent, der im Nebenjob als Kellner auf dem Oktoberfest arbeitete, wurde von seinem Arbeitgeber fristlos gekündigt, nachdem er erste Schritte zur Gründung eines Betriebsrats unternommen hatte.
Was als arbeitsrechtlicher Konflikt begann, endete mit einem spektakulären Urteil des Landesarbeitsgerichts München: Die Kündigung war nicht nur unwirksam, sondern der Arbeitgeber wurde zu Schadensersatz in Höhe von rund 100.000 Euro, sechs Monaten bezahltem Urlaub und einer schriftlichen Entschuldigung gegenüber seinem ehemaligen Arbeitnehmer verurteilt (Teilurt. V. 16.04.2025 u. Schlussurt. v. 04.06.2025, Az. 11 Sa 456/23).
Ein Fall mit Signalwirkung: insbesondere für Arbeitgeber, die mit Themen wie Arbeitnehmervertretung, Kündigung und Diskriminierung konfrontiert sind.
Was war passiert?
Der Student hatte sich für die Gründung eines Betriebsrats eingesetzt. Kurz darauf wurde er nicht mehr zum Dienst eingeteilt, später in die Küche versetzt. Als er sich weigerte, dort zu arbeiten, folgte die fristlose Kündigung wegen „beharrlicher Arbeitsverweigerung“.
Im Kündigungsschutzprozess argumentierte der Arbeitgeber, der Student sei jung, habe keine Kinder und sei nur geringfügig beschäftigt – eine Argumentation, die das LAG München als mittelbar altersdiskriminierend einstufte.
36 Klageanträge – mit Erfolg
Der Kläger (Jurastudent) wehrte sich umfassend: Mit insgesamt 36 Klageanträgen machte er u.a. entgangene Trinkgelder, Naturallohn (vergünstigte Speisen und Getränke), Gläser- und Waschgeld, Annahmeverzugslohn (§ 296 BGB) und Urlaubsansprüche geltend.
Zentrale juristische Lehren aus dem Verfahren:
- Verhindertes Trinkgeld gilt als entgangener Gewinn (§ 252 BGB): Das LAG setzte den Betrag mit 100 € pro Schicht an – ein innovativer Schritt mit potenzieller Breitenwirkung.
- Naturallohn muss ersetzt werden: Verpasste Freikonsumation wurde als geldwerter Vorteil gewertet.
- Haftungsdurchgriff auf den Geschäftsführer: Wegen vorsätzlicher Pflichtverletzung eines Schutzgesetzes haftet dieser persönlich – eine Ausnahme vom Grundsatz der Haftungsbeschränkung bei GmbHs.
- Kein Verfall von Urlaubsansprüchen: Mangels Hinweise des Arbeitgebers auf die Urlaubsnahme können sich laut Europäischem Gerichtshof Urlaubsansprüche über Jahre aufbauen, da sie weder verfallen (Urt. v. 06.11.2018, Az. C-648/16) noch verjähren (Urt. v. 22.09.2022, Az. C-120/21).
- Entschuldigung als immaterielle Wiedergutmachung: Wegen diskriminierender Aussagen in Schriftsätzen wurde – gestützt auf europarechtliche Grundsätze (Urt. V. 04.10.2024, Az. C-507/23) – eine schriftliche Entschuldigung zugesprochen.
Was bedeutet das für Arbeitgeber?
Dieses Urteil ist ein Weckruf für die Praxis: Betriebsratsgründungen sind besonders geschützt – nicht nur rechtlich, sondern zunehmend auch gesellschaftlich. Wer auf erste Anzeichen mit Druck, Versetzung oder gar Kündigung reagiert, riskiert nicht nur die Unwirksamkeit der Maßnahme, sondern empfindliche finanzielle und persönliche Konsequenzen.
Auch Einzelmaßnahmen des Arbeitgebers wie pauschale Lohnabzüge, unvergütete Überstunden oder fehlende Urlaubsinformationen können „rechtlich zum Boomerang“ werden – gerade dann, wenn nach dem Gesamtzusammenhang alles auf eine Benachteiligung des Arbeitnehmers hindeutet.
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